- Veröffentlicht
- Zuletzt aktualisiert
- Lesezeit
ACM-Mitteilungen vom 14. Januar 2017
- Authors
Liebe Leserin, lieber Leser,
Am 19. Januar 2017 soll das Gesetz zur Verbesserung der Bevölkerung mit Cannabis-basierten Medikamenten im Deutschen Bundestag abschließend behandelt werden. Wie wir nach der Verschiebung im Dezember gehofft haben, gibt es offenbar in der Tat noch leichte Verbesserungen. Dies betrifft die Voraussetzungen, unter denen die gesetzlichen Krankenkassen die Kosten der Behandlung übernehmen müssen. Die kleine Verzögerung hat sich also gelohnt.
Es gibt in verschiedenen Bundesländern Initiativen und Personen, die Selbsthilfegruppen zum Thema Cannabis als Medizin innerhalb der ACM gründen möchten. Wenn Sie sich auch mit anderen Mitgliedern aus Ihrer Region austauschen möchten oder eine Selbsthilfegruppe gründen wollen, so werden wir Sie gern dabei unterstützen. Ansprechpartner sind:
Marc Ziemann: pottdemo@hotmail.de
Sebastian Weist: sebastian.weist@gmail.com
Meinen nächsten Fortbildungsvortrag mit dem Titel „Cannabis in der Onkologie – aktueller wissenschaftlicher Stand und Verordnungsfähigkeit“ halte ich am 8. Februar 2017 um 18 Uhr im Rahmen der „Fortbildung Komplementärmedizin in der Onkologie“ im Universitären Cancer Center Hamburg des Universitätsklinikums Hamburg.
Viel Spaß beim Lesen!
Franjo Grotenhermen
Gesetz zu Cannabis als Medizin: CDU/CSU und SPD wollen weitere Verbesserungen bei der Kostenübernahme von Cannabis und cannabisbasierter Medikamente
Am 19. Januar 2017 soll im Deutschen Bundestag das Gesetz zu Cannabis als Medizin beraten und verabschiedet werden. In einem „Änderungsantrag 2 der Fraktionen CDU/ CSU und SPD zum Entwurf eines Gesetzes zur Änderung betäubungsmittelrechtlicher und anderer Vorschriften – Drucksache 18/8965“, der der ACM vorliegt, sollen noch einige Verbesserungen am Gesetz vorgenommen werden.
Nummer 1: Danach sollen die Kosten einer Behandlung nicht mehr nur von den Krankenkassen übernommen werden, wenn „eine allgemein anerkannte, dem medizinischen Standard entsprechende Leistung im Einzelfall nicht zur Verfügung steht“, sondern auch wenn eine solche Leistung „im Einzelfall nach der begründeten Einschätzung der behandelnden Vertragsärztin oder des behandelnden Vertragsarztes unter Abwägung der zu erwartenden Nebenwirkungen und unter Berücksichtigung des Krankheitszustandes der oder des Versicherten nicht zur Anwendung kommen kann“.
Nummer 2: Der Satz „Die Leistung bedarf bei der ersten Verordnung für eine Versicherte oder einen Versicherten der Genehmigung der Krankenkasse, die vor Beginn der Leistung zu erteilen ist“ soll wie folgt geändert werden: „Die Leistung bedarf bei der ersten Verordnung für eine Versicherte oder einen Versicherten der nur in begründeten Ausnahmefällen abzulehnenden Genehmigung der Krankenkasse, die vor Beginn der Leistung zu erteilen ist.“
Nummer 3: Zusätzlich soll eine Regelung zur schnellen Kostenübernahme im Bereich der Palliativmedizin geschaffen werden, sodass ein neuer Satz in den Gesetzestext eingefügt werden soll: „Verordnet die Vertragsärztin oder der Vertragsarzt die Leistung nach Satz 1 im Rahmen der Versorgung nach § 37b, ist über den Antrag auf Genehmigung nach Satz 2 abweichend von § 13 Absatz 3a Satz 1 innerhalb von drei Tagen nach Antragseingang zu entscheiden.“
Begründung zu den Änderungsanträgen
Zu Nummer 1
Die Begründung des Gesetzentwurfs macht bereits deutlich, dass die in Nummer 1 formulierte gesetzliche Voraussetzung des Leistungsanspruchs nicht bedeutet, dass eine Versicherte oder ein Versicherter langjährig schwerwiegende Nebenwirkungen ertragen muss, bevor die Therapiealternative eines Cannabisarzneimittels genehmigt werden kann. Durch den neu eingefügten Zusatz wird klargestellt, dass die Voraussetzung der Nummer 1 sowohl erfüllt ist, wenn eine allgemein anerkannte, dem medizinischen Standard entsprechende Leistung für eine bestimmte Erkrankung oder Symptomatik schon nicht vorhanden ist (Buchstabe a) als auch dann, wenn im konkreten Fall zwar abstrakt noch andere, allgemein anerkannte, dem medizinischen Standard entsprechende Leistungen in Erwägung gezogen werden könnten, die behandelnde Vertragsärztin oder der behandelnde Vertragsarzt aber im konkreten Fall zu der begründeten Einschätzung kommt, dass diese anderen Leistungen unter Abwägung der zu erwartenden Nebenwirkungen und unter Berücksichtigung des Krankheitszustandes der oder des jeweiligen Versicherten nicht zur Anwendung kommen können (Buchstabe b).
Zu Nummer 2
Die Versorgung von Versicherten mit schwerwiegenden Erkrankungen soll durch den Anspruch auf Versorgung mit Cannabis nach Satz 1 verbessert werden. Die Genehmigungsanträge bei der Erstverordnung der Leistung sind daher nur in begründeten Ausnahmefällen von der Krankenkasse abzulehnen. Damit wird auch der Bedeutung der Therapiehoheit des Vertragsarztes oder der Vertragsärztin Rechnung getragen.
Zu Nummer 3
Die Palliativversorgung dient dem Ziel, die Lebensqualität und die Selbstbestimmung schwerstkranker Menschen, die an einer nicht heilbaren, fortschreitenden und weit fortgeschrittenen Erkrankung bei einer zugleich begrenzten Lebenserwartung leiden, zu erhalten, zu verbessern und ihnen ein menschenwürdiges Leben bis zum Tod zu ermöglichen. Um Versicherten in dieser Situation die Betreuung in der vertrauten Umgebung des häuslichen oder familiären Bereichs zu ermöglichen bzw. die Versorgung in stationären Pflegeeinrichtungen entsprechend zu ergänzen, hat der Gesetzgeber in § 37b einen Anspruch auf spezialisierte ambulante Palliativversorgung geschaffen.
Auch diesen Versicherten soll die Therapie mit Cannabisarzneimitteln zur Linderung der Symptome nach der hier neu geschaffenen Regelung zur Verfügung stehen. Da es sich um Versicherte handelt, deren Lebenserwartung begrenzt ist, ist die im Regelfall vorgesehene Frist zur Entscheidung über Genehmigungsanträge nach § 13 Absatz 3a Satz 1 von höchstens drei bzw. fünf Wochen bei Einholung einer gutachterlichen Stellungnahme, insbesondere der Einschaltung des Medizinischen Dienstes der Krankenversicherung, nicht angemessen. Die Regelung verkürzt diese Frist daher für Versicherte, denen die Leistung im Rahmen einer Versorgung nach § 37b verordnet wird, auf einen Zeitraum von bis zu drei Tagen. Den Umständen des Einzelfalles angemessen haben Krankenkassen zügig zu entscheiden.
Presseschau: Cannabis auf Kassenkosten bei der AOK? (Tag24)
Die Krankenkassen werden nach dem neuen Gesetz, das im Frühjahr in Kraft treten soll, unter bestimmten Voraussetzungen die Kosten einer Therapie mit Cannabisblüten erstatten müssen. Die AOK wirbt bereits damit.
Cannabis auf Kassenkosten bei der AOK?
Gras auf Kassenkosten?!
Hört sich verlockend an, aber kiffen auf Kassenkosten bleibt auch künftig tabu. Jedoch können Schwerstkranke künftig Cannabis auf Rezept bekommen. Medikamente auf Cannabisbasis können beispielsweise sinnvoll in der Schmerztherapie bei chronischen Erkrankungen eingesetzt werden.
Ein Anspruch, dass die Krankenkasse dafür die Kosten übernimmt, ist an die Teilnahme an einer begleitenden Studie geknüpft. Der Besitz und der Anbau des Rauschmittels bleibt aber weiterhin verboten.
(…)
Presseschau: Cannabis für Patienten: Regierung plant offenbar Agentur zum kontrollierten Anbau (Medscape)
Auch Medscape berichtet über das geplante Gesetz.
Cannabis für Patienten: Regierung plant offenbar Agentur zum kontrollierten Anbau
Der Gesetzesentwurf ist auf dem Weg, wie Bundesgesundheitsminister Hermann Gröhe in einer Rede kurz angekündigt hat: Die Bundesregierung plant den Zugang von Patienten zu Cannabis-Präparaten zu verbessern [1]. Wie schon die Welt am Sonntag aus einem ihr vorliegenden Arbeitsentwurf aus dem Bundesgesundheitsministerium berichtet hat, soll offenbar eine Cannabis-Agentur den Anbau und Handel staatlich kontrolliert organisieren.
„Meilenstein in der Entwicklung der Schmerztherapie“
„Eine solche Initiative begrüßen wir ohne Wenn und Aber“, sagt Prof. Dr. Dr. Joachim Nadstawek, der Vorsitzende des Berufsverbandes der Ärzte und Psychologischen Psychotherapeuten in der Schmerz- und Palliativmedizin in Deutschland gegenüber Medscape Deutschland. „Der medizinische Gebrauch von Cannabis ist ein Meilenstein in der Weiterentwicklung der schmerztherapeutischen Möglichkeiten“, betont er. Doch solle dies eine Ausnahme bleiben, wenn alle anderen evidenzbasierten Mittel der Therapie versagten. „Eine Primärtherapie mit Cannabis sollte nicht sein“, schränkt er ein.
Dass bisher die Verordnung von Cannabis für Patienten, denen nichts anderes hilft, in Deutschland nur bedingt möglich ist, etwa im Vergleich zur liberaleren Praxis in Länder wie USA, Israel und Kanada, war auch auf dem vergangenen Deutschen Schmerzkongress in Mannheim kritisiert worden, wie Medscape Deutschland berichtete.
Der Stand der Dinge in Deutschland: Verordnet werden können theoretisch 3 Medikamente: der Cannabisextrakt Sativex® und THC (Dronabinol) sowie der THC-Abkömmling Nabilon. Allerdings werde nur das Mundspray Sativex® in der Indikation Spastik bei multipler Sklerose von den Krankenkassen erstattet, erläutert Nadstawek. Keine Zulassung haben Dronabinol und Nabilon, sie können aber vom Arzt auf einem privaten Betäubungsmittel (BtM)-Rezept verordnet werden.
Künftig werde nun wohl auch der Markt für Dronabinol-haltige Pflanzen und Tinkturen in Deutschland geöffnet, so der Facharzt für Anästhesiologie: „Das ist eine gute Entwicklung, weil man so mehr Auswahl hat und den Patienten besser individuell eindosieren kann.“ Profitieren könnten von Cannabis viele „ausgebrannte“ Patienten in der chronischen Schmerztherapie. „Für manche kann Cannabis ein letzter Rettungsanker sein“, betont Nadstawek, der das Schmerzzentrum an der Jankerklinik in Bonn leitet.
In Deutschland gibt es etwa 2,8 Millionen behandlungsbedürftige Schmerzpatienten mit psychischer Alteration. Wie groß davon der Anteil derjenigen ist, die nur auf Cannabis ansprechen, dazu gebe es keine Schätzungen, so Nadstawek.
Bislang bürokratische Hürde, Cannabis zu verschreiben
Bislang scheuten viele Ärzte sich vor der „Hürde“, Cannabis zu verordnen, weil die Krankenkassen den Nachweis verlangen, dass alle anderen therapeutischen Möglichkeiten ausgeschöpft sind. Ärzte seien oftmals auch nicht bereit, Dronabinol oder Cannabis zu verordnen, da sie arzneimittelrechtlich nicht zugelassen sind und Ärzte persönlich dafür hafteten.
Wenn die Kassen künftig aber die Cannabis-Therapie erstatten – und dies auch gesetzlich geregelt sei, dann entfalle das lästige Antragsverfahren, so Nadstawek. Bislang erteilt die Bundesopiumstelle die Ausnahme-Erlaubnis. Sie ist beim Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) angesiedelt.
Vom BfArM soll auch der Anbau von Cannabis zu medizinischen Zwecken kontrolliert werden, wie die Welt am Sonntag berichtet. Geplant sei, dass die Cannabis-Agentur den Medizinalhanf an Hersteller von Cannabis-Arzneimitteln, Großhändler und Apotheken verkaufe und auch den Preis festlege, den die Krankenkassen für das an die Patienten abgegebene Präparat zu zahlen haben. Hierfür müsste aber noch eine Änderung des Betäubungsmittelgesetzes vom Bundestag beschlossen werden.
Das halten Schmerztherapeuten für einen großen Fortschritt: In der Vergangenheit seien die Kassen nach der Begutachtung durch den Medizinischen Dienst (MDK) häufig nicht bereit dazu gewesen, die Kosten zu erstatten, kritisiert Nadstawek. „Dabei kostet eine Therapie mit Cannabinoiden nicht mehr als eine Therapie mit neuen Opioiden“, sagt er und ergänzt. „Für die Krankenkassen wäre das keine Kostenexplosion, sondern ein Nullsummen-Spiel. Es geht aber nicht nur um die Kosten, sondern um eine bessere Behandlung für austherapierte Schmerzpatienten.“
Eigenanbau: „Staat will verhindern, dass Patienten selbst Hanf anbauen dürfen“
Rund 500 Patienten in Deutschland haben eine Sondergenehmigung vom BfArM, Medizinalhanf zu beziehen, erläutert der Vorsitzende der Arbeitsgemeinschaft Cannabis als Medizin (ACM) Dr. Franjo Grotenhermen gegenüber Medscape Deutschland. Erstmals hat auch das Verwaltungsgericht Köln im Juli 2014 es für zulässig erklärt, dass Patienten in Einzelfällen, per Ausnahmegenehmigung, selbst Hanf anbauen dürfen. Die Begründung: Die Patienten können die Kosten für den Erwerb von „Apotheken-Cannabis“ in Höhe von 100 bis über 1.000 Euro pro Monat nicht selbst aufbringen.
Das BfArM hatte ihnen die Erlaubnis zunächst verweigert, weil eine private Plantage nicht genug gesichert sei und dies auch gegen das internationale Suchtstoffabkommen verstoße ( Medscape Deutschland berichtete). Dieser Argumentation folgte aber das Kölner Verwaltungsgericht nicht und hielt den Hanf-Eigenanbau aus medizinischen Gründen für zulässig. Rechtskräftig ist das Urteil allerdings noch nicht, weil die Bundesregierung in Berufung gegangen ist. Der ACM, der den Prozess finanziert hat, geht eher davon aus, dass es keine Eigenanbau-Genehmigung geben wird, so Grotenhermen.
„Mit einer geplanten Kostenübernahme der Kassen will der Staat im Prinzip verhindern, dass Patienten sich den Hanf selbst anbauen dürfen“, betont er. Die gesetzliche Initiative ziele im Prinzip auf eine „Cannabis-Eigenanbau-Verhinderung“ ab. Für die Patienten sei dies nicht entscheidend, denn es gehe vor allem darum, dass sie sich mit Cannabis auch wirklich behandeln könnten, so Grotenhermen.
„Es ist richtig, dass der Staat hier auch die Hand darauf hält“, kommentiert Nadstawek. Die psychotrope Wirkung beim Rauchen von Cannabis sei von der Wirkung der Arznei-Produkte zu differenzieren. Auch sei aus medizinischer Sicht das „Kiffen“ nicht gesundheitsförderlich. Und es sei auch wichtig, dass die Qualität der Produkte staatlich überwacht werde.
Es gibt auch Kontraindikationen für Cannabis in der Medizin: So sollten psychisch kranke Patienten mit Psychosen und Halluzinationen, die durch Cannabis verstärkt werden könnten, die Präparate nicht verordnet bekommen.
Verständlich seien auch die Bedenken der Politik, der Sucht nicht Tür und Tor öffnen zu wollen. „Es (Cannabis) bleibt das letzte Mittel der Wahl und sollte nicht wie bunte Smarties verteilt werden“, so Nadstawek.
Presseschau: Krebstherapie Die Hoffnung ruht auf Cannabis (Berliner Zeitung)
THC und CBD und andere Cannabinoide besitzen krebshemmende Eigenschaften. Der Forschungsstand ist jedoch noch sehr begrenzt. Die Deutsche Presseagentur hat das Thema aufgenommen. Prof. Lukas Radbruch von der Arzneimittelkommission der deutschen Ärzteschaft hat die Meldung zum Anlass genommen, Cannabisblüten durch die Falschmeldung zu diskreditieren, es käme in Holland bei medizinischen Cannabisblüten gelegentlich zu Pilzbefall. Damit droht er, sich selbst beim Umgang mit dem Thema zu diskreditieren.
Krebstherapie Die Hoffnung ruht auf Cannabis
Krebs ist tückisch. Er lässt Menschen bangen, verzweifeln, aber auch hoffen. Sie hoffen auf die Wirkung von Chemotherapien, Bestrahlungen, Medikamenten – manchmal auch auf Cannabis. Das Internet ist voll von Geschichten darüber, dass die berauschend wirkende Pflanze als Krebsmittel dienen kann. Das kühnste Versprechen: Cannabis könne Krebs heilen.
Das behauptet etwa der Kanadier Rick Simpson. In unzähligen Videos, Büchern und in den sozialen Netzwerken predigt der Rentner von der heilenden Wirkung eines durch Cannabis gewonnenen Öls. Ihn selbst habe es von Hautkrebs befreit, berichtet Simpson. Seine Geschichte spricht sich herum – rund um den Globus. Todkranke Menschen behandeln sich in Eigenregie mit dem Hanf-Öl. Gleichzeitig empfiehlt Simpson, auf Schulmedizin zu verzichten. „Rick Simpson ist kein Arzt. Was er macht ist fahrlässig“, sagt Mediziner Franjo Grotenhermen. Als Vorsitzender einer internationalen Arbeitsgemeinschaft für Cannabis als Medizin setzt er sich seit Jahren für die Anwendung der Pflanze in der medizinischen Therapie ein. „Cannabis ist kein Wundermittel, es ist eine Möglichkeit“, sagt er.
Effekte bei Mäusen und Ratten
Zuverlässige wissenschaftliche Belege für die von Rick Simpson angepriesene krebsheilende Wirkung der Pflanze gebe es nicht, auch wenn in dem Bereich seit Jahrzehnten viel geforscht werde, sagt Grotenhermen. „Es gibt Hinweise, dass einige Wirkstoffe von Cannabis wie Tetrahydrocannabinol (THC) und Cannabidiol (CBD) krebshemmend sind, sie können das Ergebnis von Standardtherapien verbessern – bei Mäusen und Ratten.“ Dass es beim Menschen auch so sei, könne man nur hoffen. Denn das tatsächliche Wissen über die Wirkung der Cannabinoide bei Tumorerkrankungen beschränkt sich bisher fast nur auf Zellstudien und Tierversuche, die – zumindest in manchen Fällen – Anlass zur Hoffnung geben. Auf Basis vorklinischer Befunde hat der Biochemiker Manuel Guzmán in Spanien die weltweit erste Studie an Menschen vorgenommen und die Resultate 2006 veröffentlicht.
Der Forscher von der Universidad Complutense in Madrid verabreichte neun schwerst kranken Krebspatienten, die an sehr aggressiven Hirntumoren litten, THC über einen Katheter direkt in das Gehirn. Zumindest bei einigen Teilnehmern verringerte sich daraufhin die Wachstumsrate der Tumore. Dabei traten dem Forscher zufolge kaum Nebenwirkungen auf. Guzmáns Veröffentlichung sorgte für Furore.
So wie die von Burkhard Hinz. Vor zwei Jahren brachte der Direktor des Instituts für Pharmakologie und Toxikologie der Universitätsmedizin Rostock mit Hilfe von Cannabinoiden Krebszellen im Laborversuch sozusagen zum Platzen. Damit ging auch die Debatte über die Heilkraft der Pflanze weiter. Der Pharmakologe bleibt aber vorsichtig: „In der Vergangenheit haben viele neue Antikrebsstrategien, die in präklinischen Untersuchungen hoffnungsvoll erschienen, den Sprung in die Klinik nicht geschafft, weil sie beim Menschen nicht die vermutete Wirkstärke zeigten“, sagt Hinz. In der Pflanze sieht der Forscher perspektivisch einen interessanten Kandidaten für die Behandlung von Krebs – aber nur eventuell. Denn wie Cannabinoide genau im menschlichen Organismus wirken, bleibe trotz Guzmáns Studie weiter offen.
Angesichts der mageren Datenlage könne man die Entwicklung schwer prognostizieren. „Fakt ist, dass Cannabinoide im Labor nicht nur einen, sondern mehrere Angriffspunkte innerhalb der Entwicklung und Ausbreitung von Tumoren haben“, sagt Hinz. Für den Pharmakologen bleibt die Erforschung der Substanzen weiter wichtig.
Trotz der Ungewissheit gibt es viele Krebspatienten, die Cannabis als Medizin ausprobieren wollen. „Man kann ihnen aber nicht sagen, kommen Sie in fünf bis 20 Jahren wieder, dann wissen wir mehr“, sagt Grotenhermen. Wenn jemand Cannabinoide ausprobieren will, verschreibt der Mediziner entsprechende Präparate. Allerdings nicht als hochkonzentriertes Cannabis- oder Hanf-Öl. Denn das ist, genauso wie der Anbau, Handel und Besitz von Cannabis, in Deutschland verboten.
Seit 2007 können Patienten mit einer Sondergenehmigung der Bundesopiumstelle getrocknete Blüten erwerben. Die werden geraucht, inhaliert oder oral eingenommen. Derzeit haben nach Angaben der Bundesregierung mehr als tausend Patienten eine Erlaubnis dafür. Weil Krankenkassen die Kosten in der Regel nicht tragen, kann eine solche Therapie auf Dauer teuer werden. Deshalb hat im Oktober erstmals ein Patient in Deutschland eine Zulassung bekommen, Hanf für den eigenen Gebrauch selbst anzubauen. Ende 2016 gab es zwei solche Lizenzen.
Was eher unbekannt ist: Auch ohne eine Sondergenehmigung dürfen Ärzte zumindest die Cannabiswirkstoffe als Fertigarzneimittel an ihre Patienten verschreiben. Und zwar in Form des Cannabisextraktes Sativex oder des Cannabiswirkstoffs Dronabinol. Die Arzneimittel werden vor allem bei spastischen Symptomen und Multipler Sklerose verschrieben, aber auch bei chronischen Schmerzen, Übelkeit und Appetitlosigkeit. Bei solchen Problemen ist Cannabis ein bewährtes Mittel.
Müdigkeit und Suchtgefahr
Doch wieso sind Mediziner trotzdem so zurückhaltend, wenn es um Cannabis als Medikament geht? „Die Ablehnung basiert in erster Linie auf Unsicherheit“, sagt Grotenhermen. „Für Onkologen ist die aktuelle Faktenlage zu den krebshemmenden Eigenschaften außerdem einfach noch zu lückenhaft.“ Zu viele Fragezeichen gebe es schon bei Details wie der Dosierung: „Es ist nicht klar, was das optimale Verhältnis von THC und CBD ist“, sagt der Mediziner. Ärzte wüssten auch nicht, wie lange man Patienten mit den Wirkstoffen behandeln müsste – geschweige denn, wie hilfreich das Ganze am Ende wirklich sei.
Experten sind zudem skeptisch, was den Hype um die Pflanze betrifft. „Cannabis wirkt nicht so toll, wie viele denken“, sagt Palliativmediziner Lukas Radbruch von der Arzneimittelkommission der deutschen Ärzteschaft. Die schmerzlindernde Wirkung von Cannabis sei nicht stärker als bei einem schwachen Opioid und helfe auch nicht jedem schwer kranken Patienten. Es gebe zwar Menschen, bei denen das psychoaktive THC gut wirke – etwa gegen Übelkeit, Erbrechen und Appetitlosigkeit während einer Chemotherapie – doch vielen anderen Patienten würden andere Arzneien besser helfen. „THC macht müde und bewirkt, dass man seine Umwelt nicht mehr zu hundert Prozent wahrnimmt“, sagt Radbruch.
Wichtig sei zu wissen, dass es beispielsweise in den Niederlanden, wo der Anbau von Medizinalhanf erlaubt sei, hin und wieder zu Pilzbefall der Blüten komme. „Wenn man solches Cannabis raucht, kann das zu Lungenerkrankungen führen.“ Hanfblüten zu inhalieren berge eben auch Risiken, THC in Tropfen, Kapseln oder als Spray sei dagegen unbedenklicher. Außerdem gebe es individuelle Wirkungsunterschiede, auch die Suchtgefahr dürfe nicht unterschätzt werden. Der Palliativmediziner sieht in medizinischem Cannabis nicht mehr als ein Nischenprodukt, das nur für eine kleine Gruppe von Patienten wirklich geeignet ist.
Presseschau: Rätselhafte Kiffer-Krankheit nimmt in Colorado zu (Welt)
Cannabiskonsum kann in seltenen Fällen Übelkeit und Erbrechen verursachen. Über dieses Syndrom wird gelegentlich in der Fachliteratur berichtet. Auch in den IACM-Informationen haben wir in den vergangenen Jahren mehrfach über das Thema berichtet.
Rätselhafte Kiffer-Krankheit nimmt in Colorado zu
In Colorado sehen Ärzte die mysteriösen Symptome jetzt öfter: Patienten klagen über heftige Bauchschmerzen und Erbrechen, es hilft nur heißes Duschen. Betroffene haben eine entscheidende Gemeinsamkeit.
Es beginnt mit sich langsam steigernden Bauchschmerzen und Erbrechen – und endet regelmäßig mit ratlosen Ärzten. Die Krankheit nennt sich Cannabis-Hyperemesis-Syndrom (CHS), eine Art Marihuanavergiftung. Eine Studie hat jetzt untersucht, ob die Cannabislegalisierung im US-Bundesstaat Colorado die Zahl der Erkrankten erhöht hat.
Das Ergebnis: Ja, die Fallzahlen stiegen deutlich. Waren 41 von 113.262 Notfällen vor 2009 CHS-Patienten, stieg ihre Zahl seit der Legalisierung auf 87 von 125.095 Patienten. Allerdings ist unklar, ob sich der Anstieg unter anderem auch dadurch erklären lässt, dass Erkrankte seit der Legalisierung häufiger ihren Marihuanakonsum angeben.
Heißes Duschen zur Linderung
Der US-Sender CBS News zitiert einen Betroffenen, der sich zwei Jahre lang von Arzt zu Arzt schleppte, bis er in einer Notaufnahme in Indianapolis endlich Hilfe fand. „Der Arzt fragte mich als Erstes, ob ich heiß dusche, um mich besser zu fühlen“, erzählt Lance Crowder. „Ich musste bei der Frage anfangen zu weinen, denn ich wusste: Er hat eine Lösung.“ Weil das Syndrom selten auftritt, gestaltet sich die Diagnose oft schwierig.
Weshalb die Erkrankten so auf Cannabis reagieren, ist bislang unklar. Betroffen sind jahrelange starke Kiffer. Zunächst treten Bauchschmerzen und gelegentliches Erbrechen auf, bis sich die Schmerzen plötzlich drastisch steigern und mehrmals am Tag erbrochen werden muss. Im schlimmsten Fall kommt es zu Dehydrierung und Nierenversagen.
Linderung verschafft aus unbekannten Gründen heißes Duschen – und wer mit dem Kiffen aufhört, fühlt sich schon nach einigen Tagen besser.
Seit 2009 wird der Besitz und Verkauf von Marihuana in Colorado nicht mehr geahndet, im November 2012 wurden Anbau, Verkauf und Besitz von kleinen Mengen per Volksabstimmung legalisiert.